Druckansicht - Donnerstag 16. Dezember 2010
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Mariazell: Gottsuche und Gastfreundschaft

 

Schon die Anfänge Mariazells sind, wenn auch stark legendarisch geprägt, sehr eng mit St. Lambrecht und den hier lebenden Benediktinern verbunden. Und diese Verbindung ist durch all die Jahrhunderte aufrecht geblieben und bis heute intensiv und vielfältig. Neben besonderen historischen Umständen und explizit politischen Interessen hat das Grundmuster benediktinischer Spiritualität die Atmosphäre und die Entwicklung Mariazells sehr speziell geprägt und zu seiner Bedeutung über viele Grenzen hinweg einen wesentlichen Beitrag geleistet. Wenn auch Benediktiner nicht die einzigen Ordensleute sind, die Marienwallfahrtsorte betreuen, so lassen sich doch zahlreiche Bezüge zwischen der Regel des Heiligen Benedikt, der Gestalt der Gottesmutter Maria und den Grundzügen der Wallfahrt herstellen.

  

Die Berührungspunkte zwischen Wallfahrt, benediktinischem Geist und Maria beginnen schon beim ersten Wort der Benediktusregel: "Höre!". Die Aufforderung Benedikts an seine Mönche hat wohl nirgends ein eindrücklicheres Beispiel gefunden als in Maria und ihrer Bereitschaft, Gottes Wort anzunehmen und Gottes Wirken zuzulassen. Und auch, wer sich auf Wallfahrt begibt, macht sich bereit, um etwas von Gott zu erfahren, muss sich öffnen für Größeres, muss aufmerksam sein auf das Wort Gottes, wie es die Heilige Schrift uns überliefert und wie es das Leben schreibt.

  

"Ob einer wirklich Gott sucht" ist für Benedikt eines der wichtigsten Kriterien für einen, der an der Pforte des Klosters anklopft, um Mönch zu werden. Das hat zuallererst einmal damit zu tun, sich frei zu machen von vielem, ja allem, was einen sonst ausfüllen und in Beschlag nehmen kann und das Leben zur Belastung werden lässt. Die so gewonnene Freiheit ist allerdings nicht Selbstzweck, sondern ist die Vorraussetzung, dass der Prozess der Gottsuche gelingen kann, dass schließlich Begegnung mit Gott möglich wird, dass Gott einfach Raum gegeben wird im eigenen Leben. Wiederum ist Maria Vorbild in ihrer Selbstlosigkeit, zeigt sie durch ihre bedingungslose Hingabe die Richtung an. Möglicherweise ist sie darin den Wallfahrern deshalb so nahe, weil auch sie von der Sehnsucht geleitet sind, eine Erfahrung mit diesem Gott, der oft so unbegreiflich scheint, zu machen. Wallfahrer lassen einiges daheim zurück und legen auch unterwegs noch so manches ab, wodurch sie frei und fähig werden, auf dem Weg und auch beim Ankommen Gottes Spur ein Stück weit bei sich zu entdecken.

  

In der Profess gibt sich der Mönch ganz in die Hände Gottes, sagt er sein „Ja", sich täglich neu von Gott führen zu lassen, den Weg der Nachfolge Jesu zu gehen, auch wenn er steinig und mühevoll ist und Unerwartetes oder scheinbar Unmögliches zumutet. Kommen ihm manchmal auch die Worte Marias in den Sinn: "Wie soll das geschehen?", wird er mit ihr immer wieder auch zu sagen haben: „Mir geschehe nach deinem Wort." Wie viele Hürden sind zu überwinden, bis ein Wallfahrer nach Mariazell gelangen kann? Wie viel Selbstüberwindung kostet es, nach einem regnerischen Tag und einer schlechten Nacht den Rucksack doch wieder aufzunehmen und weiterzugehen? Wie viele Engel braucht es, um auf dem eingeschlagenen Weg zu bleiben?

  

Menschen sind angewiesen auf die Einbindung in eine tragende Gemeinschaft. Eine uralte Erfahrung, die in den Religionen ihre geprägte Form gefunden und in Klöstern konkrete Gestalt angenommen hat. Wer eingebunden ist in ein Netzwerk von wertvollen Beziehungen und wer echte und ehrliche Gemeinschaft erlebt, wird fähig werden zu Großem und wird imstande sein, das Große, das ihm zugemutet ist, auch durchzuhalten. Fast alle biblischen Nachrichten von Maria schildern sie in begegnender Gemeinschaft: mit dem Verkündigungsengel, mit ihrer Familie, mit den Aposteln, mit Menschen, deren Interesse Jesus gilt. Gemeinschaftserfahrung und Begegnung prägen auch jede Wallfahrt und erst recht die Atmosphäre eines Wallfahrtsortes wie Mariazell, an dem seit Jahrhunderten Begegnungen über Grenzen hinweg gelebt werden. Und auch Benediktinerklöster zeichnen sich von frühen Zeiten an durch ihr globalisiertes Denken und ihre grenzüberschreitende Vernetzung aus.

  

Grundlage dafür - und nur scheinbar gegenläufig dazu - ist die feste Verankerung von Benediktinern mit ihren Klöstern als stabile Zentren und mit ihrem Gelübde der "Beständigkeit". Einmal mehr ist dies auch an Maria abzulesen: Je stärker jemand - letztlich in Gott -  verwurzelt ist und je enger jemand mit seiner Mitte - mit Jesus Christus - verbunden ist, desto offener kann er sein Leben gestalten, desto weiter kann er seine Arme ausbreiten und desto mehr kann er ein Signal der Orientierung im Chaos der Jahrhunderte und in den Zerstreuungen der Gegenwart sein. Der Kontakt mit dem Anderen, dem Fremden muss von daher nicht mehr länger gefürchtet werden, sondern darf als Chance begriffen werden, im Miteinander zu wachsen, voneinander zu lernen und im achtsamen Zugehen aufeinander Neues zu entdecken.

  

Vieles davon ist enthalten im sprichwörtlichen Geist benediktinischer Gastfreundschaft. Nicht Ängstlichkeit und Kontrolle, sondern Demut und Aufmerksamkeit fordert Benedikt von seinen Mönchen - zugegebenermaßen eine stete Herausforderung. Dies heißt mit Maria zuerst mit seinem eigenen Herzen Gastgeber zu sein für Jesus Christus. Dies bedeutet in weiterer Folge: In jedem Ankommenden Christus zu sehen, mit jedem Empfangenen gleichsam IHM die Tür aufzumachen, unter Herberge mehr zu verstehen als ein Dach über dem Kopf, den Pilgern vor allem eines anzubieten: ein Obdach für die Seele, eine Beheimatung für den ganzen Menschen.

 

Damit es gelingen kann, für die unzähligen Wallfahrer Heimat erlebbar werden zu lassen, bedarf es nicht sosehr der großen Events, sondern vielmehr eines einfühlsamen, kultivierten Umgangs miteinander. Benedikt als Lehrmeister einer umfassenden Lebenskultur misst auch den kleinsten Dingen noch einen besonderen Wert zu. Von ihm und von Maria gilt es in Mariazell ständig zu lernen was es heißt, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, „sich in gegenseitiger Achtung zuvor zu kommen", aufeinander Rücksicht zu nehmen und Verantwortung füreinander zu tragen.

  

Doch auch Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, kommt in Mariazell so manch einem in den Sinn wenn er hinschaut auf Maria, wenn er sich angenommen erfährt als Mensch. Dann kann es möglich werden, Versöhnung zu suchen mit den Schattenseiten des eigenen Lebens, dann wächst das Bedürfnis, ins Reine zu kommen mit sich selbst und mit Gott, dann gelingt es vielleicht auch, Frieden zu schließen mit der eigenen Begrenztheit und der Wirklichkeit, die einen umgibt.

Die „Pax benedictina" als zusätzlich geschenktes „Wallfahrtsandenken" an Mariazell? 

  

Dass Menschen so verschiedener Herkunft, von so unterschiedlichem Format und mit so breit gefächerten Erwartungen in Mariazell zusammenkommen, zeigt das hohe Maß der Integrationsfähigkeit, die die Atmosphäre dieses Ortes zu leisten imstande ist. Fanatismus und Extremismus waren schon Benedikt fremd und sind denen, die in seinem Geist zu leben versuchen, bis heute fremd geblieben. In der „discretio", einem der zentralen Aspekte benediktinischer Spiritualität, fallen mehrere dafür wesentliche Grundhaltungen zusammen: Das Bemühen um das rechte Maß, ein kluges Unterscheiden der Geister, die Anstrengung, den Weg der Mitte - nicht der Mittelmäßigkeit - beizubehalten. Und ist nicht auch die Einfachheit Marias und ihre unspektakuläre Echtheit ein Grund für ihre Anziehungskraft und für die oft so vertraute Verehrung durch so viele Menschen?

  

Vieles in Mariazell geschieht im Stillen, seien es die tiefgehenden Erlebnisse vor der Gnadenstatue, seien es die erhebenden Erfahrungen bei einem Gottesdienst, sei es der zufällige Blick in die Basilika, der doch manches auslöst. Da wird gerade in einer Zeit großer Geschwätzigkeit die Bedeutung des gesammelten Schweigens bei Benedikt und die Haltung der bewahrenden Aufmerksamkeit bei Maria heilsam erfahren. Wer selber still sein und schweigen kann, wird empfänglich sein für die gnadenhaften Momente eines Aufenthalts in Mariazell.

  

Aus diesem Schweigen heraus können Wallfahrer hineinfinden in das Gebet, das in Mariazell so viele Facetten hat: Bitte und Klage, Kummer und Verzweiflung, Sehnsucht und Hoffnung, Vertrauen und Dankbarkeit. Letztlich wird all dieses Beten immer wieder hineinfließen in das „Magnifikat", den Lobgesang Marias, der die Zuwendung Gottes zum Menschen in allen Höhen und Tiefen des Lebens besingt. Auf die Frage Benedikts: „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt", kann das eigene Herz dann leichter zustimmend antworten und selber fähig werden zum Gotteslob, das für den weiteren Weg Zuversicht und Stärkung gibt.

  

Mariazell ist - so wie jeder Wallfahrtsort - auch ein Ort des Aufbruchs. Jede Wallfahrt hat ihr „Nachspiel", muss ihre Fortsetzung finden im konkreten Alltag des Pilgers, der Pilgerin. Wohin entwickelt sich mein Leben? Wie gestalte ich meinen Glauben? Aus welchen Quellen schöpfe ich meine Kraft?

 

Die kleinen und größeren Schritte, die Tag für Tag gefordert sind, werden leichter gelingen, wenn einer wie Maria "alles im Herzen bewahrt". Dann kann auch die Verheißung Benedikts in Erfüllung gehen, dass "in unsagbarem Glück der Liebe läuft, wer im Leben und im Glauben fortschreitet."

  

Ein Streifzug durch verschiedene Aspekte marianischer und benediktinischer Spiritualität sollte bruchstückhaft die Beziehungen zum Wesen des Wallfahrens beleuchten.

 

Zusammenfassend sei nochmals festgehalten:

  • Benediktinischer Einsatz in der Wallfahrtsseelsorge in Mariazell gründet auf einem starken biblischen Fundament und ist daher ausgerichtet auf die Begegnung mit Christus. In den Kirchen in und um Mariazell findet sich keine Mariendarstellung, wo Maria nicht auf Christus, den Mensch gewordenen Gottessohn, hinweist.
  • Benediktinisches Engagement in Mariazell hat eine grenzüberschreitende, vor allem eine europäische Dimension und mit Benedikt als Patron Europas ist dieses Engagement auch gut abgestützt. Eine feste Verankerung in der Mitte christlichen Glaubens erlaubt Offenheit und großzügige Weite im Zugehen aufeinander, kleinliche Ängstlichkeit hat hier nicht Platz.
  • Benediktinisch in Mariazell möchte vor allem die Gastfreundschaft sein, zuerst im Umfeld der Basilika, aber auch darüber hinaus. Achtsam in der Aufmerksamkeit füreinander und rücksichtsvoll im Umgang miteinander, wodurch Beheimatung möglich wird für viele.
  • Gottsuche und Gastfreundschaft sind zweiwesentliche Charakteristika benediktinischer Spiritualität. Neben politischenund historischen Umständen wird zur Bedeutung Mariazells wohl auch beigetragenhaben, dass die Menschen durch die Jahrhunderte gerade auch hier jenes erfahren haben: Begleitet zu sein von Mönchen, die ein Stück weit Anteil gebenan ihrem Suchen und Ringen nach dem lebendigen Gott und willkommen zu sein inder Nähe Marias, um mit ihr ganz sich hinzuwenden zu Christus.

  

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durch die Bischöfe Mitteleuropas anlässlich der "Wallfahrt der Völker" am 22.5.2004

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