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Predigt von Kardinal Ratzinger in Mariazell

 

Predigt bei der Eucharistiefeier anlässlich der Wallfahrt mitteleuropäischer Notare in der Basilika zu Mariazell am 2. Oktober 2004

 

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Joseph Kardinal Ratzinger 

 

Liebe Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst, verehrte und liebe Notare aus allen Ländern Europas, liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

 

Maria eilt über das Gebirge Judäas, um Elisabet die Freude zu verkünden, die ihr geworden ist. Es drängt sie, zu der zu kommen, mit der gemeinsam sie in dem neuen großen Geheimnis des Herabkommens Gottes auf diese Erde steht. Sie muss die Freude weitergeben, die ihr geworden ist. Denn Liebe will sich mitteilen und Freude will sich mitteilen. Die Kirchenväter haben im Weg Marias zu Elisabet ein Bild für die Kirche gesehen, die Jesus, den sie unter ihrem Herzen trägt, durch die Gebirge der Welt, durch ihre Höhen und Tiefen trägt, und die den Auftrag hat, die Freude Gottes den Menschen mitzuteilen. Ja, Gott ist da, er hat ein Gesicht, er hat einen Namen, er ist einer von uns, er ist Gott mit uns, er ist Allmacht der Güte und der Heilung. Die Kirche verkündet das Evangelium nicht, um Macht zu gewinnen und eine große Zahl von Menschen ihr eigen nennen zu können, sie verkündet es, weil die Freude weitergegeben werden muss, weil sie nicht uns allein gehört, weil die Liebe, die uns geschenkt wurde, Mitteilung verlangt. Christentum ist in seinem innersten Wesen Freude. Das erste Wort, mit dem das Neue Testament beginnt - der Gruß des Engels an Maria, wir übersetzen ihn mit "Gegrüßt seist du, Maria" - heißt im Griechischen "Freue dich, Maria": Das ist die Ouvertüre und der reale Beginn der christlichen Geschichte, dass Gott als Freude in diese Welt herein tritt.

 

Wenn wir das hören, regt sich in uns Widerspruch. Das Christentum erscheint uns mühsam, abgestanden, voller Nöte und Schwierigkeiten. Es scheint das Leben einzuengen, anstatt es weit zu machen. Aber wenn wir der eigentlichen Mitte nahe kommen, wenn wir dem wieder zuhören und uns von dem anrühren lassen, was seine innerste Wirklichkeit ist, dann ist es auch heute Freude: Freude zu wissen, dass nicht der Zufall uns in eine Schöpfung ohne Sinn geworfen hat; Freude zu wissen, dass wir von einer Liebe gewollt sind, die nicht aufhört und die uns nicht verlässt, auf die wir uns immer verlassen können; Freude, dass es den Gott gibt, der uns kennt und der nicht ein grausamer Richter ist, sondern ein Gott der Gerechtigkeit, aber einer Gerechtigkeit, die Güte ist und die unser Heil will. So ist der erste Ruf dieses Tages an uns, die Freude und den Glauben als Freude neu zu entdecken und uns von diesem seinem innersten Wesen neu berühren zu lassen und von daher dann auch die Mühen tragen und ertragen zu können und umwandeln zu helfen.

 

Schauen wir nun auf die Begegnung der beiden Frauen, die auch eine erste Begegnung der beiden Kinder ist. Johannes hüpft im Schoß seiner Mutter Elisabet. Im ganzen Gewebe seiner Kindheitsgeschichte spielt Lukas damit auf das Tanzen Davids vor der Bundeslade an und sagt uns: Nun ist sie da, die wirkliche Bundeslade, die nicht nur geheimnisvoll andeutet, dass der ferne Gott uns kennt und zu uns spricht, sondern die leibhaftiges Wohnen Gottes unter uns ist. Gott wohnt nicht in Steinen, Gott wohnt in lebendigen Menschen und er wohnt leibhaft darin. Er liebt den Menschen so sehr, dass er selbst Leib geworden ist. Es gibt die Bundeslade, den heiligen Tabernakel, in dem er da ist. Jene heilige Macht der Freude, die das Kind im Mutterleib hüpfen sieht, gibt auch uns den Rhythmus der Freude vor, der sich fortsetzt in der Liturgie, in ihren heiligen Zeichen, in ihrem Singen und Beten, das so etwas wie ein neues Tanzen vor der Bundeslade ist, vor Gott, der wirklich da ist und der uns einlädt, selbst Bundeslade zu sein? Wenn Gott sich uns in der Eucharistie in seinem Leibe schenkt, will er, dass auch wir Wohnorte Gottes werden, von denen seine Freude ausstrahlt in die Welt hinein.

 

Hören wir auf die Worte der beiden Frauen. Elisabeth ergänzt den Gruß des Engels "Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir" um Worte, die sie im Heiligen Geist gesprochen hat, wie uns Lukas erzählt: "Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes". So ist das erste und zentrale große Mariengebet der Kirche nicht eine Erfindung des Menschen, sondern ein Geschenk des Engels, der den Gruß des Vaters bringt, eine Gabe des Heiligen Geistes, der durch diese Frau, Elisabet, spricht. Wenn wir so beten, sagen wir die Worte, die uns Gott selber auf die Lippen legt, und wir entsprechen dann auch der Verheißung, die Maria im Magnifikat verkündet: "Von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter". Marienverehrung ist nicht etwas nachträglich in der Kirche Erfundenes oder gar ein Abfall von der einzigen Mitte Jesus Christus. Sie ist uns vom Heiligen Geist selbst geboten. Denn Gott will, dass wir seine Herrlichkeit, die wir in seinem reinen Licht allein nicht erkennen können, in den Menschen wieder erkennen, in denen seine Helligkeit für uns widerleuchtet und uns zugänglich wird. In den Heiligen, und zu allererst in Maria, der Mutter des Herrn, erkennen wir, wie Gott selber ist, sehen wir den Widerschein seiner Herrlichkeit von einem menschlichen Gesicht und von einem menschlichen Leben her zu uns kommen.

 

Wichtig ist auch das Wort, das Elisabet zu Maria sagt: "Selig ist die, die geglaubt hat". Sie greift damit zurück auf die Anfänge des Alten Bundes, auf Abraham, den Vater des Glaubens, der Gott getraut hat und das Unmögliche wagt, aus seiner Heimat wegzugehen in ein Land, das er nicht kennt, weil Gott ihm diesen Weg gebietet und so eine neue Geschichte mit den Menschen beginnt. Diese Fackel des Glaubens, die in Abraham zu leuchten beginnt, wurde dann weiter getragen durch die Patriarchen und Propheten, die heiligen Männer und Frauen des Alten Bundes, und wird nun von Maria zu ihrer ganzen Helligkeit entzündet. Sie glaubt, und damit reißt sie den Himmel auf, damit öffnet sie die verschlossene Tür des Himmels, und wir sehen, dass Gott da ist und uns annimmt und sich um uns kümmert. Maria glaubt und wagt das Ungeheuerliche anzunehmen, dass Gott in ihr Leben einbrechen und sie zur Mutter seines Sohnes machen will. Sie glaubt etwas, was eigentlich jedes Menschenleben sprengt und über alle ihre Erwartungen und Lebensplanungen hinaus gehen musste. Sie vertraut sich Gott an und so öffnet sie die Türen zwischen Himmel und Erde.

 

"Selig ist die, die geglaubt hat". Damit redet Elisabet auch uns an: Glaube an Gott, stelle deinen Hochmut und deine Zweifel zurück, wage es, dich ihm anzuvertrauen und mit ihm zu gehen! Aber geh wirklich mit, dann wirst du erfahren, dass es wahr ist, was er sagt, dass er wirklich da ist! Wir können Gott nicht dem Experiment unterwerfen. Was wäre das für ein Gott, den wir im Labor gleichsam untersuchen könnten? Nein, er verlangt den Mut des Glaubens und des Mitgehens, und im Mitgehen öffnet sich uns sein Licht, erkennen wir: Ja, er ist es, der uns diesen Weg schenkt. Zum Glauben ruft er uns in einer Zeit, in der das Zerbröckeln des Glaubens die Welt nicht heller, sondern dunkler macht, in der die dunklen Kräfte des Menschen wieder herausbrechen, die der Glaube gebändigt hatte, in der das Licht Gottes nicht mehr scheinen will. Beten wir: "Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben", und halten wir uns vor Augen, was Herr Präsident Weißmann uns schon gesagt hat: Wir brauchen nicht allein zu glauben, nicht allein uns hochzuschrauben gleichsam in eine Höhe, die für uns unerreichbar ist. Glauben ist immer Mit-Glauben mit der ganzen lebendigen Kirche. Glauben ist Mit-Glauben mit der großen Schar heiliger Menschen, die inmitten dieses Ackers, in dem soviel Unkraut wächst, eine Lichtspur Gottes sind. Glauben ist Mit-Gehen im "Wir" der glaubenden Kirche. Maria will uns an diesem Tag wieder rufen, dass wir dieses Mit-Glauben wagen und, so wie sie, mit Abraham und Israel mit-glauben und uns dem Wort Gottes neu öffnen. Bitten wir den Herrn, dass wir den Mut des Mit-Glaubens finden und so die Türen zwischen Erde und Himmel sich neu öffnen.

 

Auf den Gruß Elisabets antwortet Maria: "Meine Seele preist die Größe des Herrn". Wörtlich müsste es heißen: "Meine Seele macht Gott groß". Das ist es, was Maria an diesem Tag tut: Sie tritt zurück, damit Gott groß in dieser Welt stehen kann. Wenn wir Gott groß machen, brauchen wir keine Konkurrenzangst haben, als ob wir dann klein wären. Nur wenn wir Gott groß machen, wird auch der Mensch groß. Wenn wir Gott klein schreiben und klein machen, wird der Mensch klein. Dann ist er wirklich nicht mehr als ein Zufallsprodukt, das die Evolution ans Land gespült hat und von dem man nicht weiß, ob es gut ist, dass es da ist oder nicht. Dann sind wir ein Augenblick in den unendlichen Lichtjahren des Weltalls, der kommt und versinkt, wie eine altrömische, heidnische Grabinschrift sagt: "Vom Nichts, selbst Nichts, und zu Nichts". Das ist dann die letzte Definition.

 

Wir werden nicht groß, wenn wir Gott klein machen. Nur wenn wir Gott groß schreiben in unserem Leben und ihm großen Raum geben in der Welt, werden wir groß. Dann sind wir Geschöpfe aus Gottes Liebe, dann sind wir Leuchten seines Angesichts in der Welt, dann sind wir von einer ewigen Liebe gewollt und zu seiner ewigen Liebe bestimmt. In der Zeit der kommunistischen Regierung konnte ein Buch von Solschenizyn nicht gedruckt werden, weil er unerbittlich darauf bestand, dass das Wort Gott mit dem ersten Buchstaben groß geschrieben werden müsse, was nicht erlaubt war. Gott musste unter der Macht dieser Ideologie klein geschrieben werden. Und gerade so ist die Menschenwürde immer kleiner geschrieben worden. Wir wissen, dass eine solche Welt, wie Soschenizyn in einem anderen Roman darstellte, zu einem ersten Kreis der Hölle geworden ist. Denn Hölle ist eben da, wo Gott verboten ist, wo sein Licht nicht mehr hereinleuchten darf. Gott groß machen, das verbindet die Worte der beiden Frauen, denn es bedeutet nichts anderes als glauben.

 

Maria schenkt uns im Magnifikat, in dem sie ganz aus dem Alten Bund schöpft und gleichsam seinen Gebetsreichtum zusammennimmt und hinüberträgt in den Raum der Kirche, auch eine Interpretation dessen, was der Haltung des Glaubens entgegensteht. Sie nennt drei Elemente: den Hochmut des Herzens, die Mächtigen, die Gott vom Thron stößt, und die Reichen, die nur auf die Habe setzen.

 

Der Hochmut ist das erste, er war schon die eigentliche Sünde Adams. Hochmut bedeutet, selbst Gott sein zu wollen und niemand anderen anzuerkennen, ganz autonom zu sein und sich von Gott zu emanzipieren, die ewige Liebe nicht als Geschenk, als Gründung unseres Daseins, sondern als Abhängigkeit zu verdächtigen. Aber gerade so stürzt der Mensch. Dem gegenüber steht die Demut, die Liebe annimmt, die erkennt, dass wir ihrer bedürfen, die glaubt, dass Gott sich uns schenkt, die sich ihm anvertraut und darin die wahre Größe des Menschen findet.

 

Daneben steht die Anbetung der Macht, in der als Mächtiger der gilt, der zerstören und mit Zerstörung drohen kann. Aber die wirkliche Macht ist nicht die Macht des Zerstörens, sondern die Macht des Aufbauens. Die Heilige Schrift sagt uns, dass Gottes Allmacht wesentlich in seiner Macht des Verzeihens und des Erbarmens besteht. Auf diese Macht setzen wir im Glauben in einer Welt, in der sie oft zertreten wird, in der sie aber auch in der Geschichte vieler Märtyrer und vieler leidender Menschen aufleuchtet. Das andere ist eine Karikatur der Macht, die die Erde zerstört.

 

Schließlich spricht Maria vom Reichtum als Anbetung der Habe. Nicht als ob der Mensch nicht auch die Gaben dieser Schöpfung mehren und mit dem Besitz dem Ganzen dienen dürfte. Aber wo der Mensch die Habe anbetet, wird er zum Knecht der Habe. Er wird gehabt von der Habe und ist nicht mehr der Herr der Schöpfung als Abbild des wirklichen Herrn. Darum gilt es, frei zu werden von dem, was uns Verheißung des Lebens scheint, uns aber in Wirklichkeit das Große nimmt, das uns

aufbaut. Bitten wir Maria, dass sie uns helfe, Gott groß zu machen, und dass sie uns so zur wahren Größe führe.

 

"Sub tuum præsidium" - "Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir", wird der Chor während der Gabenbereitung singen. Danken wir Meister Planyavsky, dem Komponisten für das Werk, das er uns für diesen Tag und für diese Kirche geschenkt hat, und den Musikern, die uns helfen, mit dieser Musik Maria zu lobpreisen und so das Licht Gottes in die Welt einzulassen.

 

"Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir": Dies ist das älteste nachbiblische Mariengebet der Christenheit. Es wurde auf einem ägyptischen Papyrus aus dem vierten Jahrhundert gefunden. Wir können uns vorstellen, dass es in ägyptischen Mönchskreisen entstanden ist und all die Nöte spiegelt, denen diese Menschen ausgesetzt waren: die Bedrückung durch die politische Macht, aber auch die Bedrohungen durch die Mächte der Natur und der Gesellschaft, in denen sie Zuflucht nehmen zur Mutter, zu ihrer Güte als der wahrhaft beschützenden und verlässlichen Macht.

 

"Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir", hier in Mariazell, wo seit rund neunhundert Jahren zu Maria gebetet wird, wo Menschen kommen, um von ihr Schutz und Schirm und Kraft für ihr Leben zu erlangen. Wir spüren das Beten der Jahrhunderte hier anwesend und reihen uns ein in diese große Prozession der Betenden. Wir bitten sie, dass sie uns helfe, zu glauben, vom Glauben her Hoffende zu werden, von Glaube und Hoffnung her Liebende zu sein. Wir bitten sie, dass sie Ihnen als Notare und uns allen helfe, im Dienst der wahren Gerechtigkeit zu stehen, der Gerechtigkeit, die Frieden schafft. Hier hat sie gleichsam ihren Mantel ausgebreitet über die Vielzahl der Völker, die heute vertreten und in dem gemeinsamen Mantel der Mutter geborgen sind und so über alle Grenzen hin eins werden miteinander. Wir bitten Maria, dass sie uns helfe, in dieser Stunde Europa zu bauen, ein Europa, wie Herr Präsident Weißmann sagt, in dem man nicht den Baum und die Wurzel verwechselt, in dem wir wieder neu aus der Wurzel des Glaubens leben lernen. Wir bitten die Gottesmutter, dass sie Europa helfe, seine Seele wieder zu finden, die große sittliche und menschliche Kraft, die aus dem Glauben wächst und die diesen Kontinent groß gemacht hat. Wir bitten sie, dass sie uns in den Drangsalen des Lebens führe. Wir bitten sie, dass Friede und Einheit sei und der Terror überwunden werde durch die größere Kraft der Güte. Wir bitten sie: Zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes. Amen.

 

 

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durch die Bischöfe Mitteleuropas anlässlich der "Wallfahrt der Völker" am 22.5.2004

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