Druckansicht - Donnerstag 16. Dezember 2010
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850 Jahre Mariazell - Ein benediktinischer Ort?

Pater Karl Schauer OSB, Superior von Mariazell, über die benediktische Prägung des Wallfahrtsortes

 

Im Rahmen der Vorbereitungen auf das Jubiläumsjahr wurde ich öfters „von außen" befragt, was eigentlich das Benediktinische an Mariazell sei und ob es so etwas wie eine benediktinische Wallfahrt überhaupt gebe. Diese Frage damit zu beantworten, dass seit der Gründung Mariazells durch die Mönche von St. Lambrecht immer Benediktiner hier gewirkt haben, wenn auch in verschiedenen Konstellationen, wäre zu einfach. Alles, was hier geschieht oder geschehen sollte, in eine benediktinische Formel zu pressen, wäre heuchlerisch. Deshalb ist es ehrlicher, im Blick auf die Geschichte, auf das Jubiläumsjahr 2007 und auf die Zukunft, nur auf Spurensuche zu gehen und Mut zum Fragmentarischen zu zeigen.

  

Vorweg, Mariazell ist kein spektakulärer Wallfahrtsort, keine Erscheinungen (zumindest bisher nicht), keine zeitungsfüllenden Wunder, keine Sonderreligiosität und keine Gruppen, die nur für sich diesen Ort gepachtet hätten. Mariazell ist eigentlich so „normal", dass diese Normalität allein schon für das benediktinische Erbe spricht. Am Anfang der Gründung war nicht einmal ein Wallfahrtsort beabsichtigt, allein die geografischen Bedingungen würden schon dagegen sprechen, abseits von den großen Straßen, und doch führen auch heute noch so viele Wege hierher. Am Anfang war die Zelle der Mönche, das Beten der Mönche, das Tun der Mönche. Kult und Kultur, Wissen, Weisheit und Erziehung, Wirtschaft und Lebensgrundlagen - das alles nicht zur Erbauung der eigenen Frömmigkeit und zur Selbstheiligung, sondern im Blick auf die konkreten Menschen in der konkreten Zeit. Sehr bald ist Mariazell ein Zufluchtsort geworden für  Menschen, Pilger aus Österreich, Ungarn, Böhmen und Mähren, so wird bereits aus dem 13. Jahrhundert berichtet. Was haben sie hier gesucht und gefunden? Warum ist es ein Wallfahrtort geworden? Eigentlich wissen wir es nicht. Vielleicht haben sie einfach mit den Mönchen das HÖREN gelernt, haben sich AUF DEM WEG gemacht, haben die GNADE erfahren, die dem Gottsucher zuteil wird. Das allein wäre schon genug an benediktinischer Grundhaltung, geht aber auch mit dem parallel, was marianische Spiritualität bedeuten könnte und was einen Marienwallfahrtsort kennzeichnen kann.

  

Die GNADENSTATUE an sich hat „benediktinische Konturen", sie ist christologisch, Maria zeigt auf Christus, auf den menschgewordenen Gott. „Zeige uns Christus", so heißt es im Gebet von Papst Benedikt XVI., das wir als Gebet des Jahres österreichweit verteilt haben und uns auf die Begegnungen dieses besonderen Jahres vorbereiten soll. Weder in Mariazell, noch im Umfeld wird man eine Mariendarstellung finden, die nicht christusbezogen wäre: das Schatzkammerbild, die Mariensäule, die Himmelfahrt und Krönung in St. Sebastian, die stillende Madonna am Sigmundsberg, die thronende Madonna mit Kind am Hl. Brunnen. Das allein sagt sehr viel.

  

Mariazell war immer ein Ort EUROPÄISCHER DIMENSION. Das war bestimmt nicht geplant, nicht gemacht, nicht organisiert, es ist einfach so geworden und gewachsen und heute ist diese Erfahrung Alltag. Verschiedene politische Zensuren konnten diese Wirklichkeit nicht auslöschen, auch nicht das kommunistische Regime. Ohne Ungarn, Tschechen, Slowaken, Polen, Kroaten, Slowenen... wäre Mariazell ein Torso. Heute kommen nicht nur die Pilger europaweit. Ein Stück unserer kleinen Welt spiegelt sich hier wieder, kulturell, sprachlich, musikalisch und kirchlich. Bendektiner wollen diese globale Struktur und haben sich nie hinter den Klostermauern versteckt. Und dass die benediktinische Gastfreundschaft auch die Besucher aus anderen Religionen nicht ausgrenzt, sondern behutsam mithinein nimmt in unser christliches Feiern, ist die Herausforderung von heute und morgen. Darüber wird nicht viel geredet, es geschieht.

  

Mariazell ist sehr vielen Menschen HEIMAT, ein ZUHAUSE. In vergangenen Jahrhunderten entsprach es manchmal einem Lebenswunsch, wenigstens einmal nach Mariazell  kommen zu dürfen. Das hat sich geändert. Heute ist Mariazell ein Lebensbuch aller Alters- und Berufsgruppen und aller Bildungsschichten. Wallfahrt scheint längst nicht mehr die Sprache nur der sogenannten „einfachen Leute" zu sein. Alle Facetten unseres Menschseins sind hier anzutreffen, Orientierungslose und Findende. Menschen, die sich von der Kirche entfernt haben oder meinen, dass die an den Rand der Kirche gerückt wurden, finden hier eher Heimat als anderswo. Vertreter verschiedener Gruppierungen, politischer Lager und Wirtschaftsbereiche wissen sich hier zuhause, wie auch die tatkräftige finanzielle Unterstützung für das überdimensionale Restaurierungswerk beeindruckend beweist. Wenn ein Haus diese Aufgaben erfüllen kann, dann entspricht das dem Geist des hl. Benedikt. Wallfahrten, die verboten oder nicht gewollt wurden, sind wieder selbstverständlich geworden, wie etwa die Romawallfahrt beweist.

  

Zuhause hat aber auch die Dimension der Versöhnung mit Gott und den Menschen. Dass Mariazell immer noch der „Beichtstuhl Österreichs" ist, bedeutet gerade heute bei all den komplexen Lebensentwürfen der Menschen, mit dieser großen Verantwortung behutsam umzugehen.

 

Mariazell ist ein gutes Stück KIRCHE. Kirche meine ich in diesem Kontext als Wirklichkeit, die uns geschenkt ist, eine, die wir nicht täglich neu erfinden und organisieren müssen, Kirche immer auch in einem größeren Kontext, der uns etwas von der Katholizität einer weltumspannenden Gemeinschaft umsetzen lässt. Das ist auch benediktinische Realität, wir sind kein frommer Sonderclub, keine Wohlfühlgemeinschaft, kein in sich geschlossener religiöser Zirkel. Unsere Häuser sind immer offen, laden immer zum Mitleben ein, sind nie nur für uns da. Gastfreundschaft muss groß geschrieben werden, und das in einem ganz weiten Sinn. Es tut gut, dass die Österreichische Bischofskonferenz sich hier jährlich trifft, dass andere Bischofskonferenzen, wie die ungarische und die tschechische hier waren, dass viele Bischöfe, Priester und Ordensleute ganz unaufgeregt und ungeplant nach Mariazell kommen, dass wir lernen, in den verschiedenen Sprachen miteinander zu feiern, auch dann, wenn wir diese nicht sprechen, dass das Verbindende immer größer ist, als die kleinen Unterschiede, die uns entfremden könnten.

  

Was uns hier geschenkt wird, versuchen wir auch in unserer kleinen Kommunität zu leben, wenn Mitbrüder aus verschiedenen Kulturkreisen und Sprachgebieten mit den Mitbrüdern aus St. Lambrecht und den Mitbrüdern aus anderen Klöstern und Gemeinschaften und Diözesen miteinander benediktinisches Leben versuchen, auch im gemeinsamen Chorgebet. 

  

Ich bin überzeugt, Mariazell eröffnet viele Chancen und bleibt eine Herausforderung für uns Benediktiner in Österreich und für unsere Kirche. Einige Wünsche:

  • Aus verschiedenen Klöstern könnten und sollten einige Mitbrüder vor allem in der Wallfahrtszeit hier mitarbeiten und mitleben, auch wenn es nicht leicht ist. Viele Aufgaben, wie Hinführung zum Gebet, geistliches Gespräch, Aussprache, vielleicht auch eine Art „streetwork" sind möglich. Wallfahrer und „zufällige" Besucher sind  ansprechbar und offen und würden diesen Dienst gerne annehmen.
  • Liturgisches Feiern in diversen Sprachen, das sonntägliche Chorgebet in der Basilika, das Miteinander-Feiern von Gruppen, die sich erst einige Minuten vorher in der Sakristei treffen, verlangt Sensibilität und ein großes „Know-how". Einzelne Pfarrer, die diese Erfahrung noch nie gemacht haben, können überfordert sein, das betrifft auch die liturgische Gestaltung. Eine starke Hilfe ist unverzichtbar, auch das wäre ein Dienst der Benediktiner.
  • Wir werden wahrscheinlich schon in diesem Jahr ein Pilgerhaus übernehmen müssen, das wir bisher vermietet hatten. Wenn in diesem Haus eine Begleitung geschehen könnte im Dienst am Pilger und im Geiste des hl. Benedikt, vor allem auch für junge Menschen, dann könnte wahrscheinlich mehr zurückkommen, als wir investieren.

Mariazell bleibt eine spannende Herausforderung - für uns alle. Es hat sich viel getan in den letzten Jahren, und es wird sich auch in den kommenden Jahren viel ändern. Wallfahrt und Wallfahrtsorte können immer auch ein wenig Seismograph für das sein, was in Kirche, Gesellschaft und in den persönlichen Lebensentwürfen sich vor Veränderungen nicht versperren darf.

  

Wir gehen im Jubiläumsjahr miteinander auf Wallfahrt nach Mariazell. Der PFINGSTDIENSTAG, heuer der 29. Mai, wird uns nach Mariazell aufbrechen lassen. Es wäre sicher gut, wenn sich kleine Weggemeinschaften bilden könnten, und möglichst viele Mitbrüder zu Fuß nach Mariazell pilgern könnten, wenigstens einige Stunden. Auch ich lade dazu herzlich ein. Vor uns und nach uns werden viele Pilger kommen, am 8. September, am Patroziniumsfest wird Papst Benedikt XVI. ein Stück des Weges gehen, zu Mariä Himmelfahrt werden tausende von jungen Menschen aus den Mitteleuropäischen Ländern sich auf dem Weg nach Mariazell machen, es wird eine Wallfahrt der Lambrechter Pfarren, auch der ehemaligen geben. Bereits am 18. März werden sich die Delegierten für die 3. Europäische Ökumenische Versammlung in Sibiu hier in Mariazell für zwei Tage treffen, und am 25. März werden wir bei der Rundfunkübertragung der Hl. Messe das Jubiläumsjahr eröffnen und vielen Menschen die Möglichkeit geben, mit dabei zu sein.

  

Das Gebet, das Mitdenken, Mithelfen und Mitarbeiten in diesem Jahr könnte auch ein guten Anfang für eine herausfordernde Zukunft setzen.

  

Ich danke allen Mitbrüdern!

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durch die Bischöfe Mitteleuropas anlässlich der "Wallfahrt der Völker" am 22.5.2004

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