Vatikanstadt, 6.7.07 (KAP) Arturo Mari gilt selbst im Vatikan, der ja nicht gerade für rasche Veränderungen bekannt ist, als eine Konstante von ungewöhnlicher Beharrungsdauer. Sechs Päpsten, von Pius XII. bis zu Benedikt XVI., diente er als Fotograf, dokumentierte offizielle Anlässe und private Momente. Manchen historischen Augenblick kennt die Welt nur durch seine Linse. Nach 51 Jahren hat sich der gedrungene, mitunter etwas mürrisch wirkende Herr im stets tadellosem schwarzen Anzug in den Ruhestand verabschiedet. Hinter ihm liegen um die 340 Papstreisen im In- und Ausland, ungezählte Audienzen, Gottesdienste, ein Konzil. Die einzige Papst-Messe, der Mari ohne Fotoapparat beiwohnte, war die Priesterweihe seines Sohnes im April dieses Jahres. "Ich bin als Arturo gekommen und gehe als Arturo", sagt er von sich - gekommen als der Bursche aus der Nachbarschaft, jetzt eine der Respektspersonen im "heiligen Bezirk" des Vatikans.
Sein Büro liegt in der Via del Pellegrino; aber eigentlich hat sich Mari nie weit vom Petersdom entfernt. Noch heute wohnt er im Borgo Vittorio am Vatikan, wo er aufwuchs. Seine Eltern schickten den technisch interessierten Buben nach der Schule nachmittags ins Foto-Studio an der Ecke - Hauptsache, das Kind ist von der Straße.
Entscheidend für den Werdegang Maris war aber der deutsche Jesuit und Vatikan-Archäologe P. Engelbert Kirschbaum. Der Gelehrte, Vorgesetzter von Maris Vater und selbst passionierter Fotograf, förderte das Talent des Buben und schenkte ihm seine erste Kamera, eine Leica. Am 9. März 1956, mit noch nicht einmal 16 Jahren, begann Arturo im fotografischen Dienst bei der Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano".
Unter Pius XII. erlebte Mari eine "harte Schule", wie er sagt - ein strenges Zeremoniell, als eine Seligsprechung noch sechseinhalb Stunden dauerte. Mit Johannes XXIII. brach eine neue Epoche an - die ersten Papst-Besuche in einer Klinik, einem Gefängnis boten dem jungen Fotografen geradezu aufregend neue Motive. Dann das Konzil:
Die Öffnung der Kirche zur Welt, auch zu den Medien. Mari begleitete Paul VI. 1964 auf der Reise ins Heilige Land und dokumentierte die große ökumenische Begegnung zwischen dem Konzilspapst und Patriarch Athenagoras von Konstantinopel. Nach dem 33-Tage-Pontifikat von Johannes Paul I. arbeitete er 27 Jahre für Johannes Paul II.; es war "ein Leben mit ihm", sagt Mari.
Der Wojtyla-Papst war ein Mann der großen Gesten, und Mari wurde sein Bildchronist. Die Legende erzählt, dass Mari sich keinen Tag Urlaub leistete, sich nie krank meldete. Dafür hatte er seinen festen Platz im engsten Reisetross des Papstes, exklusive Arbeitspositionen, um die ihn viele Kollegen beneideten. "Ich wollte die Wahrheit dokumentieren, nichts anderes", sagt Mari. Das konnte anstrengend sein, wie etwa beim Begrüßungsmarathon bei einer Benelux-Reise: 980 Politiker und Honoratioren standen Schlange beim Papst, und Mari knipste zäh einen um den anderen, keinen verpasst, keinen verwackelt.
Auch darauf ist er stolz. Manche seiner Aufnahmen von Johannes Paul II. prägten ein neues Image: der Petrusnachfolger auf Skiern, der Freund der Kinder, der Beter für den Frieden - und der Leidende, von Krankheit Gezeichnete. Mari weiß, dass diese Motive beispiellos sind in der Kirchengeschichte. Dass er das Bild des Papstes im Medienzeitalter revolutioniert hat.
Seine zwei berühmtesten Aufnahmen fotografierte Mari blind. Das eine Mal war am 13. Mai 1981, Generalaudienz. Der Papst-Jeep fuhr durch die Menge, Mari, wie immer, zu Fuß daneben. Dann fielen Schüsse. Ob und wie er auf den Auslöser drückte, "daran kann ich mich nicht erinnern". Aber nachher waren Bilder auf dem Film. Die Bilder des Attentats. Anderthalb Tage später berief der damalige Substitut im Staatssekretariat, Erzbischof Eduardo Martinez Somalo, eine nächtliche Krisensitzung ein. Johannes Paul II. hatte die Operation gut überstanden, doch die Medien waren in Aufruhr.
Da machte Mari den
Vorschlag: Der Vatikan soll die Situation entschärfen, indem er selber ein Bild des Papstes verbreitet. Die Leitungsspitze stimmte zu. Am Morgen betrat Mari das Zimmer in der Intensivstation der Gemelli-Klinik, allein. Drinnen Johannes Paul II., der Papst im Patientenkittel, Kanülen im Arm. "Arturo, mein Sohn, dass wir uns noch lebend sehen", sagte er. Mari weinte, Tränen liefen über den Sucher, er sah nichts, aber er knipste. Das Porträt ging um die Welt.
Mari, ein "romano di Roma", Kind des ur-römischen Kleineleuteviertels am Petersdom, zeigt noch immer mehr Handwerkerstolz als Künstlerallüren. "Bescheiden bleiben, wissen, wo man steht, und saubere Hände behalten", lautet seine Maxime. Das ist auch das Urteil von Fotojournalisten, die in Konkurrenz zum vatikanischen Bilderdienst arbeiten und dennoch Mari persönlich als umgänglichen und hilfsbereiten Kollegen schätzen.
"Alle Fotos, die ich machen wollte, habe ich gemacht", sagt Mari. Nie habe man ihn zensuriert, etwas verboten, ihm etwas vorenthalten. Er wollte den Vatikan zeigen, wie er ist, und für ihn ist das gelungen:
"Ich gehe glücklich und zufrieden". Maris letzter offizieller Termin war der Papst-Rosenkranz in den Vatikanischen Gärten zum Abschluss des Marienmonats, 31. Mai. Inzwischen hat sich sein Büro weitgehend geleert. Von den paar Bildern, die einmal an den Wänden hingen, blieben staubige Umrisse. Noch liegt das ledergebundene Terminbuch auf dem Schreibtisch, stehen in einer Vitrine seine Liebhaberstücke alter Kameras samt einer kleinen Madonnenstatue. Irgendwann wird womöglich der Nachfolger hier einziehen, Francesco Sforza, ein langjähriger Mitarbeiter. Mari will sich ein bisschen mehr seiner Familie widmen, aber auch hin und wieder vom Borgo Vittorio aus vorbeischauen, manches ordnen, archivieren, neue Projekte schmieden, vielleicht eine Dokumentation des Vatikan-Alltags. "Ein Fotograf aus Leidenschaft hört nie auf", sagt ein Kollege: "Arturo ist so einer".